Rollenkonflikte – was sie sind und wie man sie lösen kann

Rollenkonflikte – was sie sind und wie man sie lösen kann
Haben Sie manchmal das Gefühl, viele Bälle in der Luft halten zu müssen? Und haben Sie das Gefühl, sich hierbei gleichzeitig dabei zuzuschauen, wie ein Ball nach dem anderen auf den Boden fällt oder nur unter großer Anstrengung in der Luft bleibt? Fühlen Sie sich hin- und hergerissen zwischen den Erwartungen, die an Sie herangetragen werden?
Worum es in diesem Beitrag geht
Wenn Sie die eingangs gestellten Fragen mit „ja“ beantwortet haben, könnte es daran liegen, dass Sie in einem Rollenkonflikt stecken. Was unter einer Rolle zu verstehen ist (wie sie definiert wird und was sie kennzeichnet) können Sie in meinem Beitrag „Wir alle spielen eine Rolle – meist mehrere“ nachlesen.
Wie Konflikte, die in Rollen angelegt sein können, entstehen, wie sie beschrieben werden und was man tun kann, um diese Konflikte zu lösen, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Was ist ein Rollenkonflikt?
Nähern wir uns der Antwort auf diese Frage, indem wir den Begriff „Rollenkonflikt“ in seine Bestandteile zerlegen:
- „Rolle“ wird verstanden als die „soziale Rolle“, die Menschen in bestimmten sozialen Kontexten einnehmen. Die soziale Rolle wird geprägt durch die Erwartungen, die andere an den Inhaber oder die Inhaberin der Rolle stellen, und zwar ausdrücklich geäußerte als auch nicht offen geäußerte Erwartungen. Darüber hinaus bestimmen Normen und Regeln (explizite und implizite) sowie Sanktionen das Verhalten eines Menschen in einer Rolle. Menschen nehmen soziale Rollen ein, und zwar in sehr unterschiedlichen Kontexten gleichzeitig (z.B. Frau, Mutter, Partnerin, Freundin, Kollegin, Mitarbeiterin, Teamleiterin, …).
- „Konflikt“ bedeutete ursprünglich „Zusammenstoß, Kampf“. Heute verwenden wir diesen Begriff in der Bedeutung „durch widersprüchliche Auffassungen, Interessen o.Ä. hervorgerufene schwierige Situation.“ (Quelle: Duden, Bedeutungswörterbuch).
Schwierige Situationen kennt wohl jede und jeder von uns, und dass diese in unseren Rollen angelegt sind, die etwas mit (meist nicht klar artikulierten) Erwartungen anderer und (nicht immer eindeutig formulierten) Normen und Regeln zu tun haben, erscheint nachvollziehbar.
Wie entsteht ein Rollenkonflikt?
Rollenkonflikte entstehen, wenn das Handeln einer Person den Erwartungen ihrer in der jeweiligen Situation relevanten Bezugsgruppe widerspricht. Sie entstehen auch, wenn das Handeln der Person Normen und Regeln widerspricht, die im jeweiligen sozialen Kontext gelten. M.a.W.: Sie verhalten sich in Ihrer Rolle und bemerken, dass etwas nicht stimmt: Die Reaktionen der anderen fallen nicht so positiv aus, wie Sie vielleicht gehofft haben.
Der Widerspruch zwischen individuellem Verhalten und Erwartungen anderer entsteht, wenn diese Erwartungen nicht klar formuliert werden. Dies kann daran liegen, dass Erwartungen entweder nicht bewusst sind oder es angenommen wird, dass diese „allgemein bekannt“ seien (m.a.W.: man schließt von sich auf andere). Dies gilt auch für Normen und Regeln, die in einer Organisation gelten (insbesondere die „kulturellen Spielregeln“, die nicht explizit benannt werden). Rollenkonflikte entstehen auch dann, wenn die Mitglieder einer relevanten Bezugsgruppe widersprechende Erwartungen haben (z.B. die Mitglieder eines Teams haben Erwartungen gegenüber ihrer Führungskraft; diese weisen zum einen Schnittmengen auf, divergieren andererseits individuell).
Ein Rollenkonflikt entsteht auch dann, wenn das Wissen über die jeweilige Rolle defizitär bzw. nicht klar ist, was genau „die Rolle“ ist. Mangelnde Rollenklarheit und/oder mangelndes Bewusstsein über die Notwendigkeit von Rollenklarheit lassen Rollenkonflikte sehr wahrscheinlich werden.
Selbst dann, wenn die Erwartungen der jeweiligen Bezugsgruppen klar sind, die geltenden Normen und Regeln bekannt und dies überwiegend den eigenen Bedürfnissen, Interessen und Erwartungen entspricht, kann ein Rollenkonflikt dadurch entstehen, dass die „Erwartungserfüllung“ Sie an „an Grenzen“ bringt. Wenn z.B. Ihre Ressourcen begrenzt sind (z.B. Zeitmangel, Informationsdefizite), kann ein innerer (Rollen-)Konflikt durch Überforderung entstehen.
Welche Arten von Rollenkonflikten gibt es?
Es werden – klassisch – drei Arten von Rollenkonflikten unterschieden: Intrarollenkonflikt, Interrollenkonflikt und Personen-Rollen-Konflikt.
- Intrarollenkonflikt
Intrarollenkonflikte entstehen, wenn sich die Erwartungen der verschiedenen Bezugsgruppen innerhalb einer Rolle nicht miteinander vereinbaren lassen, d.h., der Rollenträger bzw. die Rollenträgerin widersprüchliche Erwartungen erfüllen soll.
Beispiele:
Sie sind Führungskraft in einer mittleren Position in Ihrer Organisation, d.h., sie führen Mitarbeitende und haben Ihrerseits Vorgesetzte. Ihre Vorgesetzten erwarten von Ihnen, dass Sie die Entscheidungen, die „auf oberster Führungsebene“ getroffen werden durchsetzen. Ihre Mitarbeitenden erwarten von Ihnen, dass Sie die Interessen der Mitarbeitenden gegenüber der „obersten Führungsebene“ vertreten.
Ihre Kund*innen erwarten von Ihnen, dass Sie offen und ehrlich beraten und in Bezug auf das Produkt nicht nur die Vorteile, sondern auch mögliche Nachteile benennen. Ihr Vorgesetzter erwartet von Ihnen, dass Sie möglichst viele Verkaufsabschlüsse tätigen, und weist Sie darauf hin, dass ausschließlich das Herausstellen von Vorteilen hierbei zielführend ist.
- Interrollenkonflikt
Ein Interrollenkonflikt liegt vor, wenn es widersprüchliche Erwartungen zwischen verschiedenen Rollen einer Person gibt. Unterschiedliche Rollen, die eine Person einnimmt, liegen im Widerstreit miteinander.
Beispiele:
Sie sind einerseits Partnerin und Mutter und andererseits Mitarbeiterin. Ihre Familie erwartet von Ihnen, dass Sie abends pünktlich nach Hause kommen, um Zeit mit der Familie zu verbringen; Ihre Vorgesetzten und Ihre Kolleg*innen erwarten von Ihnen, dass Sie bereit sind, länger zu arbeiten.
Sie sind Führungskraft und leiten ein kleines Team. Mit einer Person in diesem Team sind Sie darüber hinaus eng verbunden, z.B. verwandt, verheiratet oder befreundet. Dieser Person stehen Sie – immer – in mehreren Rollen gleichzeitig gegenüber und diese Person wird Sie auch – immer – in diesem „Rollengemisch“ adressieren. Die Erwartungen, die an Sie als Führungskraft gestellt werden sind nicht immer klar von jenen zu trennen, die an Sie als Verwandte, Ehepartner*in oder Freund*in gestellt werden.
Sie leiten eine Einrichtung eines sozialen Trägers, der u.a. ein Wohnheim für Menschen in besonderen psychischen oder sozialen Situationen bereitstellt. Die Bewohner*innen dieses Wohnheims haben u.a. die Erwartung an Sie, dass Sie sich für deren Belange einsetzen und ihnen ermöglichen, würdevoll sichtbar zu sein und zu werden; die Nachbarschaft des Wohnheims hat die Erwartung an Sie, dass Sie dafür sorgen, dass sich die Bewohner*innen möglichst geräuschlos verhalten (und am besten nicht sichtbar werden).
- Personen-Rollen-Konflikt
Zu einem Person-Rollen-Konflikt kommt es, wenn die Erwartungen, die mit der Rolle verbunden werden, sich nicht mit den persönlichen Interessen und Bedürfnissen des Individuums vereinbaren lassen. Die Interessen, Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erwartungen, die eine Person mit in die Rolle bringt, stimmen nicht mit den Erwartungen der anderen ein.
Beispiele:
Sie waren in einer leitenden Position in einem „Start-Up“ und übernehmen nun eine Führungsposition in einer anderen Organisation. Ihre Erkenntnisse, Erfahrungen und Ihren Führungsstil (Sie beschreiben diesen als „kollegial, partizipativ, kooperativ“) bringen Sie in die neue Position ein. Das Team, das Sie nun leiten, erwartet von Ihnen, dass Sie „klare Ansagen machen“ und „Entscheidungen treffen und diese kommunizieren“. Dies widerstrebt Ihnen, da Sie zutiefst davon überzeugt sind, dass nur Kooperation und Partizipation weiterbringt; Ihr Team (sowie die Kultur der Organisation) setzt auf „Ansage“.
Sie werden vom Mitarbeiter zur Führungskraft befördert. Ihre bisherigen Teamkolleg*innen freuen sich, dass Sie die Leitungsposition übernehmen. Ihr*e Vorgesetzte*r erwartet von Ihnen, dass Sie innerhalb einer kurzen Frist diejenigen Kolleg*innen identifizieren, deren Stellen wegfallen können.
Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
Führungskräfte (und auch Mitarbeitende) durchlaufen häufig Rollenkonflikte. Mit Konflikten kann man unterschiedlich verfahren: Man kann versuchen, sie zu ignorieren oder zu unterdrücken. Man kann auch versuchen, sie zu klären. Der erste Schritt hierzu ist die Wahrnehmung des Problems.
Ihre Rolle wird geformt durch die Erwartungen Ihrer relevanten Bezugsgruppen. Selbst wenn Sie alle Erwartungen kennen, ist es unrealistisch, ALLE Erwartungen zu erfüllen (insbesondere, wenn sie sich widersprechen).
Der zweite Schritt ist die Rollenklärung. Insbesondere Führungskräfte in einer so genannten „Sandwich-Position“ sehen sich oft in einem intrapersonalen Rollenkonflikt verstrickt. Hilfreich ist, gerade für solche Führungspositionen, dass von Anfang an die (sich zum Teil widersprechenden) Erwartungen klar kommuniziert und ausgehandelt werden, um Führungskräfte in einer Sandwich-Positionen nicht zwischen divergierenden Rollenerwartungen aufzureiben.
Im Rahmen Ihrer Rollenklärung sind die Erwartungen der jeweiligen Akteur*innen zu erfragen oder (immerhin) zu reflektieren. Methoden zur Klärung können bspw. das Auftragskarussell von Arist von Schlippe und auch das innere Team von Schulz von Thun sein. Werden Sie sich Ihrer eigenen Erwartungen bewusst und wägen Sie ab, welche Erwartungen Sie erfüllen wollen und welche nicht. In diesen Entscheidungsprozess (auch Prozess zur Priorisierung) werden Sie die Reaktionen derjenigen Akteur*innen bedenken, deren Erwartungen Sie nicht erfüllen wollen. Sie werden Sanktionen erfahren, die Sie sozusagen „als Preis“ miteinbeziehen. Bei einem intrapersonellen Rollenkonflikt ist daher zu fragen: Welche Erwartungen werden von wem an mich gestellt? Wie stehen diese Erwartungen zueinander? Nach welchen Kriterien entscheide ich mich (z.B. entscheide ich mich für die Erwartungen der Einflussreichsten, der Lautesten, nach meinem persönlichen Nutzen, nach möglichen Kosten)?
Der dritte Schritt ist das Aushandeln der (gegenseitigen) Rollenerwartungen. Dies ist ein stetiger Prozess, der individuell (Selbstreflexion) erfolgt. Darüber hinaus ist es zielführend, wenn Rollenklärungen auch im Austausch stattfinden, z.B. im Rahmen von Mitarbeitenden-Gesprächen, Teamsitzungen oder im Rahmen von Austauschrunden unter Führungskräften (Stichwort: Rollenklärung als Teil der Führungskultur).
Quellen und weiterführende Literatur
Ralf Dahrendorf: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle. 16. Auflage, 2006, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Robert K. Merton: The Role-Set. Problems in Sociological Theory. 1957, The British Journal of Sociology.
Arist von Schlippe: Das Auftragskarussell: ein Instrument der Klärung eigener Erwartungs-Erwartungen. In: Levold, T., Wirsching, M. (Hg.): Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch, 2014, Heidelberg: Carl Auer Systeme und siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=gvPzawEu5bA
Friedemann Schulz von Thun: „Miteinander reden Band 3“, 16. Auflage, 2007










