Und plötzlich ist alles ist anders - Trauerarbeit in Organisationen

Und plötzlich ist alles ist anders - Trauerarbeit in Organisationen
Ein Kollege stirbt, eine Kollegin hatte einen schweren Unfall, ein Teammitglied scheidet aufgrund von Kündigung oder Rente aus, Teams werden „neu strukturiert“ … In all diesen Fällen ist nichts mehr so, wie es war. Es kann plötzlich („von einem Tag auf den anderen“) anders sein oder mit längerer Vorlaufzeit. Unabhängig davon - das Gefühl ist da: Jemand oder „etwas“ fehlt, es entsteht eine Lücke. Der Verlust von Vertrautem berührt Menschen – auch im professionellen Arbeitsumfeld.
Trauerarbeit in Organisationen – worum es in diesem Beitrag geht
Veränderungsprozesse werden in den meisten Organisationen prozess- und projektorientiert und (meist) recht professionell initiiert und umgesetzt. Dennoch verbleiben immer wieder Fragen, Lücken und (eher gespürte als geäußerte) Widerstände während und nach der Umsetzung. Veränderungen betreffen allerdings nicht nur die initiierten Prozesse, sondern auch plötzliche Ereignisse, wie der Tod oder eine schwere Erkrankung eines Teammitglieds. Auch das Ausscheiden aus Teams hinterlässt eine Lücke.
Wie gehen Organisationen damit um? Wie adressieren Führungskräfte dies? Was löst dies in Teams aus? Und wie wirken sich solche Ereignisse auf die Arbeitszufriedenheit aus, insbesondere dann, wenn keine Gelegenheit gegeben wird, dies zu bearbeiten? Dieser Beitrag ist eine Spurensuche und versucht, Antworten auf diese Fragen zu geben.
Wenn ein Kollege plötzlich nicht mehr da ist
Die 12 Mitarbeiter*innen einer Abteilung in einem mittelständischen Unternehmen (ca. 300 Mitarbeitende) arbeiteten zum Teil schon seit vielen Jahren zusammen. Als die Aufgaben der Abteilung umfangreicher wurden, stellte der Abteilungsleiter einen weiteren Kollegen ein. Es war ein junger Mann, der das Studium soeben absolviert hatte. Es war sein erster Job. Der junge Mann hatte sichtbar Schwierigkeiten, sich in die Arbeit einzufinden. Die Kolleg*innen bemühten sich, ihn anzulernen und einzugliedern. Der Vorgesetzte war allerdings keine große Hilfe hierbei. Eines Tages, es war inzwischen circa ein Jahr seit der Einstellung des jungen Mannes vergangen, fehlte dieser am Arbeitsplatz. Auch am nächsten Tag und am übernächsten kam er nicht. Eine Krankmeldung gab es nicht, telefonisch war er nicht erreichbar. Es war sonderbar, denn so ein Verhalten hatte der junge Mann noch nie an den Tag gelegt. Kein Wunder also, dass ab dem vierten Tag seines Wegbleibens der Flurfunk mehr als nur leises Grundrauschen war. In der Mittagspause jenes vierten Tages trat der Abteilungsleiter vor die Mitarbeiter*innen und sagte: „Der Herr X kommt nicht mehr zu uns. Man hat seinen Wagen am Ufer der D. gefunden, Türen auf, Schlüssel steckte.“ Entsetzen, Erschrecken, Fassungslosigkeit unter den Mitarbeiter*innen. Kopfschütteln, Hilflosigkeit. Trauer.
Die Mitteilung des Abteilungsleiters war alles, was von Seiten der Organisation und der Führungsebene dazu gesagt wurde. Man verlangte, weiterzuarbeiten, denn es gab viel zu tun. Zudem musste ein Mitarbeiter nun kompensiert werden. Sein Schreibtisch war voll und nun war klar, dass er nicht mehr kommen würde. Die Arbeit musste verteilt werden.
Das klingt zynisch und ist es in gewissem Maße auch. Zugunsten der Vorgesetzten könnte man annehmen, dass sie schlicht und ergreifend mit der Situation überfordert waren und ihrerseits hilflos auf den Freitod des jungen Mitarbeiters reagierten.
Wie geht man mit einer solchen Situation um? Wer ist auf den Freitod eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin vorbereitet? Niemand. Wie kann man die („zurückgebliebenen“) Mitarbeiter*innen gut begleiten? Vielfach fehlt die Zeit, um alle betroffenen Mitarbeiter*innen einer guten Begleitung anzuvertrauen. Vielfach wird dies auch gar nicht als notwendig erachtet („Ist das überhaupt erforderlich? Schließlich sind wir in einem professionellen Arbeitskontext und nicht in einer Therapiegruppe!“). Man verfährt sehr häufig nach dem Motto: Über was man nicht spricht, das gibt es nicht. Und macht weiter.
Doch Schweigen und Nichtbeachten gärt. So auch in diesem Unternehmen.
Der Flurfunk, von jeher in allen Unternehmen die aktivste Austauschplattform, lief heiß. In den Zimmern, hinter verschlossenen Türen, ruhte die Arbeit. Man tuschelte, analysierte und fragte sich, ob man nicht etwas übersehen hat: Hätte man den Freitod des jungen Kollegen erahnen können? Hätte man nicht besser auf ihn eingehen können? Hätte man seine Verzweiflung sehen müssen? Man machte sich Vorwürfe. Eine Mitarbeiterin erkrankte schwer, weil sie sich mitschuldig fühlte an dem Freitod des jungen Kollegen. Sie glaubte, den jungen Mann zu hart angefasst zu haben. Die Effektivität der Bearbeitungen in dieser Abteilung sank auf Rekordtief. Nachweislich. Es schien, als ob eine bleierne Schwere alle ergriffen hätte. Es dauerte Wochen, bis dies nachließ. Einige stürzten sich in die Arbeit, um zu kompensieren. Doch der Stachel saß. Als ein neuer Mitarbeiter eingestellt wurde, hatte er einen schweren Stand. Er kündigte nach nur zwei Wochen. Der nächste blieb nur zwei Monate. Nach über einem Jahr der Suche wurde endlich eine Person gefunden, die länger blieb.
Wenn die „Familie“ zerbricht
In einer Kindertagesstätte fühlen sich die sechs Mitarbeiterinnen „ganz schrecklich“. Es herrscht eine Atmosphäre von Unsicherheit und Bedrückung. Wenn man sie fragen würde, würden vier von sechs Mitarbeiterinnen vage antworten: „Vor etwas mehr als einem Jahr“ war es anders, mehr Freude und Leichtigkeit. Es liegt auf der Hand, dass „vor etwas mehr als einem Jahr“ etwas Entscheidendes geschehen sein musste.
Der Kindergarten besteht seit mehr als 15 Jahren. 14 Jahre lang hat ein Team aus sechs Mitarbeiterinnen (Leitung eingeschlossen), nach eigener Einschätzung ganz hervorragende Arbeit geleistet. Man hat sich blind verstanden, man war sich sehr vertraut, die Atmosphäre war warmherzig und offen. Wie eine große Familie. Doch dann, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung, fiel eine Kollegin aus. Diagnose: Burnout. Eine weitere Kollegin kündigte kurz darauf. Sie teilte der Leitung mit, dass sie mit dem Gehalt als Teilzeitkraft schon seit langer Zeit nicht mehr klarkomme und inzwischen am Rande des Existenzminimums lebe. Alle (vier) sind schockiert.
Das Ausscheiden von zwei Kolleginnen war für das kleine Team kaum zu bewältigen. 40 Kinder im Alter zwischen 3 und 6 wollten jeden Tag versorgt werden, die Eltern hatten Ansprüche, der Träger auch. „The show must go on…“ könnte man einen bekannten Song zitieren. Die vier zunächst verbleibenden Kolleginnen mussten eine Zeit lang für sechs arbeiten, um die zwei vakant gewordenen Stellen zu kompensieren. Sie schafften es zwar, irgendwie, doch ihre Energie war am Limit. Die Gedanken und Gefühle, die das plötzliche Ausscheiden durch Krankheit der einen Kollegin und das Bekenntnis der anderen Kollegin, ihren Lebensunterhalt nicht sicherstellen zu können, ausgelöst hatten, waren da. Doch diese raus zu lassen, dafür war kein Raum und keine Zeit da. Die Reaktion in diesem Falle war, wie in ähnlichen Fällen auch: Kompensieren, mehr arbeiten und schnellstmöglich Ersatz besorgen.
Der Ersatz kommt in Form von zwei neuen Kolleginnen. Diese freuen sich auf die neuen Stellen. Auch die anderen vier scheinen froh zu sein, endlich die Arbeit auf vier weitere Schultern verteilen zu können. Doch - irgendwie – läuft es nicht. Die Leitung formuliert es so: „Es ist so schwierig, geeignetes Personal zu finden. Wir haben lange gesucht und endlich zwei Kolleginnen gefunden. Aber genau das ist das Problem. Seitdem haben wir hier Schwierigkeiten. Seitdem ist hier nichts mehr, wie es mal war. Die Atmosphäre ist einfach schrecklich.“
Man stelle sich das mal als eine Tischrunde vor. Da sitzen sechs Menschen in sehr vertrauter Atmosphäre zusammen. Von außen betrachtet scheinen sie sich zu mögen und zu schätzen, sie scherzen miteinander und scheinen sich gut zu kennen. Wie in einer Familie. Dann kippt plötzlich eine vom Stuhl. Und dann eine zweite. Die anderen gucken schockiert, doch die Tischrunde muss weiterleben. Sie hat einen Auftrag, sie hat Aufgaben zu erledigen. Also werden von außen zwei Neue an den Tisch gesetzt. Sozusagen auf die Stühle derjenigen, die noch halb unter dem Tisch liegen.
„Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ Mit diesen Worten eröffnet Lew Tolstoi seinen Jahrhundertroman Anna Karenina.
Mit Sicherheit haben die vier verbliebenen Kolleginnen viel über die beiden „Verlorenen“ gesprochen. Sich der Gedanken und Gefühle bewusst zu werden und über den Verlust angemessen zu trauern (in welcher Form auch immer), dafür blieb jedoch keine Zeit. Und es wurde auch nicht als notwendig erachtet.
Für die beiden Neuen war es fast nicht möglich, einen eigenen Platz zu erhalten, der frei war von den „alten Geistern“. Sie traten einem System bei, das jahrelang davon überzeugt war, vertraut und offen – wie in einer Familie – zusammenzuarbeiten. Sie hatten sich selbst getäuscht. All die Gefühle von Verlust, Trauer, Wut, Ohnmacht und auch schlechtes Gewissen wurden unausgesprochen auf die Neuen projiziert. Die „Rest-Familie“ nahm sie als Eindringlinge wahr, die die Spuren der anderen beseitigen wollten. Die Neuen kämpften mit Geistern, die sie nicht kannten, zu deren Werdung sie nichts beigetragen hatten und die niemand offen ansprach.
„Früher war alles besser“
Die Abteilung besteht aus 20 Personen, Frauen und Männern, Altersspanne zwischen Ende 20 bis Anfang 60. Die meisten arbeiten schon lange in der Organisation; ein Teil von ihnen auch in dieser Abteilung. Neue sind dazugekommen, unter anderem der Leiter. Es hatte eine Anfrage zur Teamsupervision gegeben mit den Anliegen: Teamarbeit stärken, Kommunikation verbessern, Strukturen klären. So weit, so allgemein.
In der ersten Sitzung kommen die Teilnehmer*innen immer wieder auf das Jahr 2015 zu sprechen. Schnell wird klar, dass dies der Zeitpunkt war, in dem die Abteilung in der heutigen Form gebildet wurde. Die Teilnehmenden beschreiben die Abteilung (und damit ihr Team) so: „Wir sind hier nur zusammengewürfelt.“ „Ich bin nicht freiwillig hier.“ „Wie ich hier hingekommen bin, weiß ich nicht.“ „Hier ist wohl der Rest zusammen, den die anderen nicht haben wollten.“ Es fallen Bezeichnungen wie „Resterampe“ und „Straflager“. Angemerkt wird, dass „man immer mit einem Fuß woanders ist.“ Die Stimmung in dieser Abteilung ist mehr als schlecht. Es liegt Bedrückung in der Luft. Ärger und Misstrauen.
Nur zur Einordnung: Die Supervision fand 2023 statt.
Die Organisation war im Jahr 2015 umstrukturiert worden. Nach einem längeren Prozess mit externer Begleitung durch eine große, internationale Beratungsorganisation war man auf Leitungsebene zu dem Ergebnis gelangt, die Struktur der Organisation von einer Linienorganisation auf eine Matrixorganisation umzustellen. Am Reißbrett wurde die Organisation neu geplant. Das Ergebnis wurde den Mitarbeitenden mitgeteilt. Von einem Tag auf den anderen wurden bestehende Teams „neu zusammengewürfelt“, erhielten neue Aufgaben, neue Vorgesetzte (in der Matrix immer zwei).
Man kann sich die Mitteilung an die Mitarbeitenden – um in einem Bild zu sprechen – so vorstellen: Es ist der erste Schultag in der Grundschule. Die Kinder versammeln sich aufgeregt mit ihren nagelneuen Schulranzen und ihren Schultüten in der Aula der Schule. Aufgeregtes Geplapper summt durch den großen Raum. Freude, Aufregung und auch Unsicherheit liegen in der Luft. Dann tritt die Schulleitung ans Mikrofon, begleitet von den Lehrer*innen der ersten Klassen. Der große Moment ist da: Sie verkündet, wer in welche Klasse kommt. Die Namen werden aufgerufen und die Kinder werden gebeten, sich hinter der jeweiligen Lehrperson zu versammeln. Es gibt freudiges Lachen, betroffene Gesichter und Schweigen. Es gibt Kinder, die sich freuen, mit dem Freund oder der Freundin in einer Klasse zu sein und jene, die sehnsuchtsvoll zu einer anderen Gruppe starren und die die Tränen kaum unterdrücken können und schließlich solche, die die Situation noch gar nicht fassen und einordnen können.
Die Mitarbeiter*innen in dieser Abteilung fühlten sich so ähnlich. Ihr damaliger Leiter war der Einzige, der neu in die Organisation gekommen war, „ein Externer“. Er blieb nicht lange. Die folgende längere Zeit der Vakanz wurde durch zwei Mitarbeitende gefüllt (das Ausfüllen von Vakanzen auf Leitungsebene durch Mitarbeitende ist ein weiteres Thema, das an dieser Stelle nicht vertieft wird). Der aktuelle Leiter hatte einen schweren Stand.
„Früher war alles besser“, sagte ein Mitarbeiter und alle anderen nickten. „Früher“ – das war vor der Umstrukturierung („Da wussten wir, wo wir hingehören.“). „Früher“, das war für die einen die Zeit mit dem ersten Leiter („Der Externe war gar nicht so schlecht.“) nach der Umstrukturierung und für die anderen die Zeit ohne formale Leitung („Wir haben das ja auch alles allein geschafft.“).
Unglückliche Mitarbeitende, eine verunsicherte Führungskraft. Schwelende Konflikte, die die Mitarbeitenden mal mehr, mal weniger bearbeiten wollen und immer wieder der sehnsuchtsvolle Blick auf das „Früher“.
Organisationen sollen sich verändern. Sie müssen sich sogar anpassen, sonst überleben sie nicht. Und hierzu sind auch Umstrukturierungen notwendig. Es ist Aufgabe der Führungsebene immer wieder zu überprüfen, ob die Ziele der Organisation in der bestehenden Struktur erreicht werden können. Sie müssen überprüfen, ob die Aufgaben noch stimmig sind zu den aktuellen Herausforderungen und diese zielgenau beschrieben und verteilt sind („Aufgabenkritik“). Anpassungen und Veränderungen sind letztlich eine ganz normale Dynamik in Organisationen. Es geht somit nicht darum, OB entschieden wurde, etwas zu verändern. Es geht nicht um das WAS. Sondern es geht darum, WIE dies umgesetzt wurde.
In dieser Abteilung sind mehr als acht (!) Jahre vergangen, bevor erkannt wurde, dass man „etwas tun müsse“. Der Anlass war die beobachtbare Unzufriedenheit, die nicht greifbaren Konflikte, schlechte Arbeitsergebnisse, hoher Krankenstand.
Trauerarbeit in Organisationen?
Wenn Kolleg*innen nicht mehr da sind, löst dies bei den „Zurückgebliebenen“ etwas aus. Insbesondere dann, wenn dies plötzlich geschieht. Organisationen haben häufig sehr formale Antworten auf das Ausscheiden: Beim Tod von Kolleg*innen wird z.B. ein Trauerbuch ausgelegt, es gibt eine kurze Trauerrede, man sammelt für einen Kranz oder ein Gesteck.
Gehen Mitarbeiter*innen in Rente, ist dies immer über einen längeren Zeitraum absehbar. Die Aussicht auf Rente löst in den einen große Freude aus, in anderen Unsicherheit oder Ambivalenz. Auch die Kolleg*innen reagieren hierauf („Wir werden dich vermissen!“ „Schade, dass du nicht mehr da bist.“ „Wie soll das hier ohne dich weitergehen?“). Es kann auch sein, dass einige Kolleg*innen den Tag des Ausscheidens herbeisehnen („Endlich ist er/sie weg!“). Auch im Falle der Rente werden von Seiten der Organisation formale Aspekte in den Vordergrund gestellt („Wie wird die Arbeit verteilt? Wer folgt nach? Wie werden neue Personen eingearbeitet?“). Es wird den ausscheidenden Kolleg*innen überlassen, ob sie ihren Ausstand „feiern“ wollen und wenn ja, wie. Im Falle einer Kündigung findet meist noch nicht einmal dies statt.
Werden Teams auseinander- und wieder zusammengesetzt, entsteht ein ähnliches Gemisch von Gefühlen: Man verliert vertraute Personen (das Gefühl, neue gewonnen zu haben, wird meist vom Gefühl des Verlustes überlagert. Die Verlustaversion ist höher als die Aussicht auf einen Gewinn – hierzu haben Daniel Kahneman und Amos Tversky geforscht und in ihrer Prospect Theory festgehalten.). Adressiert werden Widerstände in Veränderungsprozessen meist mit Kommunikations- und Informationsveranstaltungen, die ritualisiert von der Prämisse ausgehen: Je mehr wir (Führungsebene) an Informationen auf die Mitarbeitenden einregnen lassen, umso besser wird das schon. Zur Klarstellung an dieser Stelle: Informationen sind wichtig, Kommunikation (vor allem gelungene!) auch – es fragt sich jedoch, warum trotz mannigfaltiger Kommunikationsrunden, Meetings, Info-Mails, etc. die Mitarbeitenden nach der Umstrukturierung häufig nicht „besser performen“, sondern damit beschäftigt sind, sich „das Früher“ herbeizusehnen.
Tod, Rente, Kündigung, Umstrukturierung – all dies löst Reaktionen aus. In diesen Fällen ist nichts mehr so, wie es war. Gefühle wie Wut und Fassungslosigkeit, Ohnmacht und Trauer sind vorhanden. Nicht bei jeder und jedem im gleichen Maße, dennoch sind sie da. Sich dessen bewusst zu werden, dies zumindest in einem gewissen Rahmen zu bearbeiten, hat jedoch im Arbeitsalltag häufig keinen Raum und keine Zeit. Der Umgang mit dem Thema Verlust trifft in der Arbeitswelt nur für den Fall des Arbeitsplatzverlustes zu. Im Falle einer Umstrukturierung, der Verabschiedung von Kolleg*innen in den Ruhestand, bei Kündigung von Einzelnen haben die anderen ja schließlich nicht ihren Arbeitsplatz verloren. Selbst im Falle des Todes gilt dies. Das ist wohl richtig, und dennoch haben betroffene Mitarbeiter*innen etwas verloren: lieb gewonnene Kollegen und Kolleginnen, Arbeitsorte und Arbeitsabläufe, die vertraut waren.
Gründe für eine Trauerarbeit in Organisationen
Wie bereits weiter oben ausgeführt, müssen Organisationen sich ständig neuen Anforderungen stellen und diese bearbeiten. Dies erfordert ein flexibles Einstellen auf neue Gegebenheiten. Solche Führungsaufgaben erfordern strukturelle Entscheidungen. Aber eine rein formale Antwort löst nicht das Problem.
Das Übergehen von Situationen, die einen Verlust nach sich ziehen und das Übergehen der damit verbundenen Trauer ist nicht Ausdruck von Stärke und tough-Sein, sondern auch betriebswirtschaftlich unvernünftig. Einen Arbeitgeber kostet die Nicht-Verarbeitung solcher Verluste deutlich mehr als ein offener Umgang hiermit. Wie im Fall des Freitodes des jungen Mannes im ersten Beispiel sichtbar: Die Mitarbeiter*innen haben sich über Wochen hinter verschlossenen Türen ausgetauscht – und nicht das getan, was sie laut Arbeitsvertrag eigentlich tun sollten. Eine Kollegin erkrankte schwer und fiel über Wochen aus. In allen Beispielen wird deutlich: Die Suche und Einarbeitung von neuen Kolleg*innen ist schwierig, wenn diese nicht auf Offenheit und Klarheit, sondern auf etwas kaum Greifbares, Dunkles, Schweres treffen, das ihnen das Ankommen und Bleiben schwer, wenn nicht sogar unmöglich macht. Die Folge: Positionen bleiben unbesetzt, die Arbeit wird auf die Verbliebenen verteilt, diese haben noch mehr Druck. Weitere Folge: Die Suche nach „Ersatz“ dauert lange, kostet Zeit und Geld.
Das mangelnde Verarbeiten von Trauerfällen führt zu einer Senkung der Arbeitsleistung aufgrund mangelnder Arbeitszufriedenheit. Der Wunsch, einen angemessenen Raum für Trauer, Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit zu haben, als MENSCH wahrgenommen und in einer solchen Situation behandelt zu werden, sollte Mitarbeitenden ermöglicht werden. Führungskräfte sollten dies ermöglichen (nicht: anordnen, abarbeiten, sondern anbieten. Es ist zu berücksichtigen, dass nicht jede und jeder den gleichen Bedarf an Verarbeitung hat).
Trauerarbeit in Organisationen (oder wie immer Sie dies nennen möchten) erfordert natürlich auch Zeit und Geld. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ihre Mitarbeiter*innen werden sich wertgeschätzt fühlen. Sie erhalten die Möglichkeit, ihre Trauer zu bearbeiten und können befreit(er) in die Zukunft blicken. Die gestellten (ggfs. neuen) Aufgaben können angegangen werden, neue Kolleg*innen können besser integriert werden. Eine gestiegene Arbeitszufriedenheit führt zu weniger Erkrankung und zu weniger Fluktuation.
Möglichkeiten der Trauerarbeit in Organisationen
Als Führungskraft können Sie sich gezielt diesem Thema widmen und Rat holen (intern z.B. durch kollegiale Beratung oder extern durch Supervision oder Coaching). Sie können in solchen Situationen gezielt externe Begleitung und Beratung für Ihr Team einsetzen oder Ihren Mitarbeitenden Ihrerseits Beratung anbieten („Führungskraft als Coach“). Insgesamt können Sie das Thema „Trauer in Organisationen“ im Rahmen von Führungskräftefortbildungen, Führungskräfteentwicklung, Führungssupervision oder Organisationsberatung bearbeiten.
Ein grober Plan für die Trauerarbeit sieht wie folgt aus:
- Situation ansprechen. Dies ist mehr als „informieren“ und entstandene Lücken formal abarbeiten. Es umfasst vielmehr: Ansprechbar sein, sich der eigenen Gefühle bewusst sein, die eigenen Grenzen zur Verarbeitung der Situation kennen.
- Raum schaffen. Dies bedeutet, Zeiten, Orte und Gelegenheiten einzuräumen, in denen sich Mitarbeiter*innen über Trauer, Wut und andere Gefühle austauschen können (in Einzelsettings oder Teamsettings).
- Würdigen, was war. Gemeinsam in Erinnerungen schwelgen, die schön (und vielleicht auch nicht so schön) waren.
- Verabschieden der alten Situation. Die Kollegin oder der Kollege ist nicht mehr da oder das Team arbeitet jetzt in einer anderen Struktur: Früher heißt eben auch früher. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit; sie kann nicht mehr verändert werden, sie kann nicht konserviert werden. Ein Symbol des bewussten Abschieds ist hilfreich.
- Wahrnehmen des Jetzt und hier. Dies bedeutet, die Situation, wie sie IST zu integrieren: Wie gehe ich/gehen wir damit um, dass es heute und jetzt so ist, wie es ist?
- Blick in die Zukunft. Auch wenn niemand die Zukunft vorhersehen kann, dennoch kann es hilfreich sein, an dieser Stelle zu fragen: Wie mache ich/machen wir jetzt weiter?










