Warum uns manche Menschen auf die Palme treiben

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Petra Dropmann
29.8.2025
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Warum uns manche Menschen auf die Palme treiben

Warum gibt es Menschen, die uns immer wieder aus der Reserve locken? Bei deren Erscheinen oder nur dem Erklingen ihrer Stimme der Puls hochgeht und das Gefühl im Magen flau wird? Die einen zittern lassen, vor Wut oder Ärger, vor unterdrücktem Zorn oder auch Hilflosigkeit? Die uns auf die Palme treiben. Oder in einen tiefen dunklen Tunnel.

Worum es in diesem Beitrag geht

Menschen lösen Reize in uns aus, wenn wir sie zum ersten Mal sehen. Doch darum geht es in diesem Beitrag nicht. Es geht nicht um die Schubladen, die wir öffnen (und zwar in Bruchteilen einer Sekunde), wenn wir zum ersten Mal einem Menschen begegnen.

Es geht vielmehr um eine Reaktion, die wir immer und immer wieder erleben – mit demselben Menschen. Und obwohl wir ahnen oder wissen, dass dieser Mensch diese Reaktion in uns auslöst, finden wir uns zum wiederholten Mal auf der Palme wieder. Trotz aller Vorsätze, dort nie wieder hochzuklettern. Warum dies so ist und wie man sich selbst auf die Schliche kommen kann, darum geht es in diesem Beitrag.

Reize, Affekte und Trigger

Wir sind Lebewesen, die auf bestimmte Reize reagieren. Man nennt dies auch Affekte. Der Anblick von Menschen in Not löst in uns etwas aus. Der Anblick eines Katzenbabys, der Geruch eines bestimmten Parfums, die Stimme eines bestimmten Menschen, der Geschmack einer Frucht – all dies löst etwas in uns aus.

Manchmal lösen diese Reize ein Wohlgefühl aus, weil eine gute Erinnerung mit dem Reiz verknüpft ist. Wir erinnern, fühlen uns gut und sicher und bleiben ruhig. Manchmal löst dieser Reiz Angst oder Wut aus. Wir fühlen uns nicht gut, unsicher und würden am liebsten flüchten oder erstarren.

Andere Menschen können uns triggern. In der Medizin und der Psychologie spricht man von Triggern. In der Alltagssprache ist das Wort längst angekommen. Trigger sind Auslöser oder Schlüsselreize, die einen Vorgang in Gang setzen. „Der XY triggert mich“, d.h., diese Person löst etwas in mir aus. Meist sind es keine guten Vorgänge, sondern es wird ein Unwohlsein, eine diffuse Angst, Ärger etc. erlebt. Die Person, ihre Art zu sprechen, ihre Art, sich zu kleiden, ihr Verhalten löst etwas aus, das in mir etwas zum (Wieder-) Erleben bringt. Etwas, das ich am liebsten in der hintersten Ecke meiner Erinnerungen verbuddelt hätte.

„Auf der Palme“ nach bloß zwei Sätzen

Nehmen wir einmal an, Sie sind zu mir gekommen (in die Supervision) und sprechen über einen Ihrer Kollegen, nennen wir ihn Herrn Meyer. Sie arbeiten bereits seit 10 Jahren mit Herrn Meyer zusammen. Herr Meyer ist ein Mann Mitte 50, leicht schütteres Haar, leichter Bauchansatz, mittelgroß, unauffällige Brille und stets akkurat, wenn auch durchschnittlich gekleidet. Herr Meyer stinkt nicht, weder aus dem Mund noch unter den Achseln (das ist wichtig zu erwähnen, denn Gerüche triggern uns immens). Herr Meyer ist ein Mitarbeiter von Ihnen, d.h., Sie sind seine Führungskraft. Und das auch schon seit 10 Jahren. Sie sprechen oft über Herrn Meyer. Herr Meyer macht dies, Herr Meyer macht das oder Herr Meyer macht dies oder das gerade nicht. Herr Meyer hat die Angewohnheit, jeden Arbeitsauftrag, den er von Ihnen erhält, „genau zu prüfen“. Sie kennen das, schließlich arbeiten Sie seit 10 Jahren mit ihm zusammen und es war nie anders. Und Sie erzählen, dass Sie Herrn Meyer einen Auftrag erteilt haben („Herr Meyer, bitte erstellen Sie ein Kurzgutachten zum Thema XY. Bitte bis nächste Woche Montag.“). Dies hätten Sie klar und freundlich formuliert. Herr Meyer habe Sie erst mal nur angeschaut. Dann habe er geseufzt und gemurmelt: „Auch das noch.“ Sie meinen auch noch gehört zu haben: „Immer ich.“ Herr Meyer habe dies nicht laut gesagt, eigentlich auch nicht so wirklich zu Ihnen. Aber immerhin so laut, dass Sie es hätten hören können.

Diese zwei kleinen Sätzchen reichen und Sie sind in „Hab-Acht-Stellung“ und auf der Palme. Zwar gehen Sie nicht darauf ein (das haben Sie nach 10 Jahren gelernt), aber Sie sind verärgert. Und Sie fühlen sich bestätigt. Schließlich kennen Sie Herrn Meyer. Sie ahnten, dass er so oder ähnlich reagieren würde.

Sie gehen in Ihr Büro und schließen die Tür. „Dieser Meyer“, denken Sie verärgert. „Er hat doch gar nicht so viel zu tun. Ich verlange doch nichts von ihm, was nicht zu schaffen wäre.“ Eine zweite Stimme meldet sich (und vielleicht hat diese Stimme das Gesicht von Herrn Meyer) und flüstert: „Doch, du weißt doch gar nicht, wie belastet ich bin.“ Sie hegen Zweifel, sie ärgern sich. Und während Sie sich noch gedanklich mit Herrn Meyer und Ihren inneren Stimmen auseinandersetzen, klopft es an der Tür und Herr Meyer kommt herein. „Ich wollte nur mal nachfragen, ob ich das richtig verstanden habe. Ein Kurzgutachten? Wie viele Seiten soll es denn haben? Und wirklich bis Montag?“ Sie reagieren. Auf den Reiz Meyer. Er triggert Sie. Schon wieder. Sie schwanken zwischen geduldigem Antworten und Erklären (hat man Ihnen auf einem Führungskräfte-Seminar beigebracht) und dem Impuls, laut „Raus und Tür zu!“ zu schreien.

Klein und machtlos nach zwei Sätzen

Es gibt auch eine andere Variante. Dies sind Menschen, die es schaffen, dass bloß zwei, drei Sätzchen ein sehr unangenehmes Gefühl auszulösen: Man fühlt sich klein und unbedeutend, geht in Hab-Acht-Stellung und bringt sich in eine Verteidigungsposition. Man fühlt sich hilflos und ohnmächtig. Die besten Sätze, die man dem anderen am liebsten um die Ohren hauen wollte, fallen erst im Nachhinein ein. Man nimmt die Begegnung mit in den Tag und jedes Mal, wenn man sich erinnert, kocht dieses Gefühl hoch. Man nimmt es mit in den Schlaf. Es dauert, wie ein festsitzender Geruch in der Kleidung, bis man sich genügend gelüftet hat, damit dieses miese Gefühl vergeht.

Solche Empfindungen lösen häufig Menschen aus, die eine gewisse narzisstische Disposition haben. Sie schaffen es, dass man sich zunächst von ihnen komplett angezogen fühlt. Sie sind charmant, charismatisch, erfolgreich, witzig und können auf eine unwiderstehliche Art anziehend sein. Sie umgarnen, schmeicheln und wenn man ihnen auf den Leim gegangen ist, dann kehrt sich alles um: Schließlich machen sie das nur, damit sie jemanden haben, der nunmehr an der Reihe ist. An der Reihe mit grenzenloser Bewunderung und Dankbarkeit für diesen Menschen, und zwar bis ans Lebensende. Egal, was er tut und sagt, und sei es noch so banal oder auch falsch (Nun: Ein Narzisst macht keine Fehler! – Zumindest aus der eigenen Perspektive). Man gehört dem Narzissten, ist sein Eigentum, er hat Macht und die will er auskosten.

Man weiß es eigentlich besser: Solche Menschen sollte man meiden. Sie sind nicht gut, denn sie lösen den Reiz aus zu fliehen oder zu erstarren. Doch leider kann man ihnen nicht immer entkommen. Wie soll man einer Führungskraft entkommen, die narzisstische Züge aufweist? Zu deren Disposition es gehört, andere niederzumachen, um sich selbst aufzuwerten.

„Da kann ich doch nichts machen“, werden Sie sagen. „Andere Menschen kann man nicht verändern.“ Stimmt, zumindest der zweite Satz Ihrer Aussage. Wir können andere Menschen nicht ändern. Das ist auch nicht unser Auftrag. Weder als Mitarbeitende noch als Führungskraft.

Aber die Frage lautet: Können Sie wirklich nichts tun, außer stumm zu ertragen und sich auf Ihrer schwankenden Palme festzuhalten? Oder in den Tunnel zu kriechen? Ein ums andere Mal?  

Es gehören zwei dazu – vom Zauber des Triggers

„Es gehören immer zwei dazu“, pflegte schon meine Mutter zu sagen, wenn sie weise nickend Beziehungskriege, Streitigkeiten am Arbeitsplatz oder Niggeligkeiten unter Kegelgeschwistern kommentierte.

Wir sind soziale Wesen, wir verbinden uns mit anderen, wir brauchen andere, um „Ich“ zu sein. Martin Buber hat einmal geschrieben: „Alles Leben ist Begegnung.“ Und sinngemäß: Das ICH wird nur durch das DU zum WIR. Wir lassen uns von anderen berühren. Wir wollen uns verbinden, verstanden werden (auch ohne viele Worte), wir wollen respektiert werden, wie wir sind. Wir setzen Hoffnungen und Erwartungen in andere, so wie diese in uns. Diese Erwartungen und Hoffnungen sind häufig eng verknüpft mit unseren Erfahrungen und unserer Sozialisation, mit unseren Werten und unseren Empfindungen.

Wenn uns ein Mensch „triggert“ oder auf die Palme bringt, dann berührt uns dieser Mensch. Er löst etwas in uns aus. Häufig ahnt das Gegenüber gar nicht, was es gerade auslöst. Wie denn auch? Vielleicht erinnert Herr Meyer an den phlegmatischen älteren Bruder, der sich immer beschwerte, wenn er mal in der Küche helfen sollte und sich erfolgreich davor drücken konnte. Vielleicht hat Herr Meyer auch über all die 10 Jahre inzwischen gelernt, dass er Sie mit seinen Nachfragen nervt. Vielleicht möchte Herr Meyer Anerkennung oder Aufmerksamkeit. Negative Aufmerksamkeit ist besser als keine.

Es sind die Trigger, die in mir ausgelöst werden. Es sind MEINE Trigger, die tief in mir schlummern. Ein Herr Meyer schafft es auch nach 10 Jahren, dass sich die Führungskraft ärgert. Der Ärger ist nicht mehr so stark wie zu Beginn, aber es ist wie eine Wunde, von der sich immer wieder die Kruste löst. Herr Meyer triggert Sie, ob er will oder nicht.

Wenn man dies erkannt hat, ärgert man sich. Über den anderen zunächst. Dass der mal wieder dies und jenes gesagt hat. Dass der mal wieder nicht erkannt hat, dass … Um dann vielleicht diesen Trigger mal näher anzuschauen. Warum schafft Herr Meyer das ein ums andere Mal? Am liebsten wäre es Ihnen, wenn Herr Meyer kein Getriggere in Ihnen auslösen würde.

Wenn Sie erkennen, dass das Verhalten von Herrn Meyer lediglich ein Auslöser für etwas ist, was tief in Ihnen sitzt, dann ändert sich die Perspektive. Herrn Meyer werden Sie nicht ändern. Sie können jedoch ändern, wie Sie auf sich und Ihre Reaktion schauen. (Verstehen Sie mich bitte nicht falsch an dieser Stelle: Es geht nicht darum, jegliche Reaktion zu vermeiden. Es geht darum, wie Sie damit umgehen.) Sie haben es in der Hand. Sie entscheiden. Versuchen Sie sich selbst auf die Spur zu kommen, was genau Herr Meyer in Ihnen auslöst. Wenn Sie dies nicht wollen, dann seien Sie gnädig zu sich selbst. Oder pflegen Ihren Trigger. (Manchmal kann es ja hilfreich sein, den Puls – ohne große körperliche Anstrengung – auf 180 hochzupumpen, um dann wieder ruhig zu atmen.)

Eine würdevolle Hornhaut überziehen

Auf die Palme oder in den Tunnel bringen uns aber nicht nur die Herr Meyers auf dieser Welt. Sondern auch jene Personen, die Bewunderung, Selbstzentriertheit und Niedermachen anderer brauchen, wie Lebewesen die Luft zum Atmen.

Der Narzisst, der einen anderen Menschen (im schlimmsten Fall: Sie) mal wieder angeraunzt, niedergemacht, beschuldigt, beleidigt hat … Und der Ärger kocht hoch. Die Antennen stehen auf Alarm und Verteidigung. Zwischen wütend sein und sich ohnmächtig fühlen schwanken Sie durch die Situation.

Aber wieso? Warum ist unsere Haut nicht dick genug, dass man diesen Ärger nicht an sich heranlässt? Wieso schließt man nicht einfach die Augen, wenn solch ein Mensch auftaucht, hält sich Ohren zu und die Nase, damit man ihn nicht wahrnehmen muss? Wieso lässt man geschehen, dass einem die Macht genommen wird? Dass zwei, drei Sätze genügen, um sich klein, mies, unbedeutend und schlecht zu fühlen?

Man lässt sich abwerten, damit der Narzisst sich aufwerten kann. So funktioniert es. Aufwertung durch Abwertung. Der eine kann sich nur groß fühlen, indem er andere klein hält oder klein macht. Auch hier gehören immer zwei dazu.

Bei Lichte betrachtet bedeutet dies: Sie ärgern sich über sich selbst. Dass Sie sich klein gemacht haben, dass nur ein Satz Sie so treffen kann, dass Sie wütend und sauer, traurig oder ängstlich sind. Sie lassen es zu, dass diese Person Sie treffen kann. Es scheint, als ob Sie bereitwillig jeden Schutzpanzer runterreißen, Ihre Brust öffnen, auf das pochende Herz zeigen und sagen: „Triff mich.“ Weil der Schmerz offenbar so schön ist? Weil es gut tut, getroffen zu werden und sich verletzt zu fühlen? Vielleicht. Es bestätigt etwas, was tief in Ihnen schlummert. Auch wenn es Ärger und Angst auslöst. Es sind Gefühle, die Sie kennen. Tief in Ihnen. Und diese werden bedient.

Ich lasse zu, dass mich ein anderer Mensch trifft. Ich lasse zu, dass mir ein anderer Mensch ein Teil meiner Würde nimmt. Ich lasse zu, dass ein anderer Mensch sich meiner blank geputzten Spiegelneuronen bedient und meine Empathie für sich nutzt. Ich lasse zu, dass Menschen mich auf die Palme, in den Tunnel und die Ohnmacht bringen.

Wenn ich DAS nicht mehr will, muss ich mich um mich selbst kümmern und es ändern. Rein metaphorisch kann ich mir vor jeder Begegnung einen Schutzmantel anlegen oder eine würdevolle Hornhaut überstreifen. Das ändert nichts am Verhalten meines Gegenübers. Aber es wird, nach einiger Zeit, dazu führen, dass die Hornhaut dicker wird und die narzisstischen Pfeile nicht mehr so tief treffen. Bis sie irgendwann nur noch abprallen. Klettern Sie von der schwankenden Palme runter, kriechen Sie aus dem Tunnel und ziehen Sie sich stattdessen bewusst Ihren würdevollen Hornhaut-Schutz an.

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